19.03.2017 / Mein schlechtes Gewissen - aus "Minkas Leben"
Langsam streckte sie ihre Hand in meine Richtung aus. Vorsichtig schnüffelte ich an dieser und ließ die High Heels Dame nicht aus den Augen. Sie roch gut. Nach einer Seife würde ich meinen, die aber keine aufdringliche, sondern eine dezente Note besaß. Ich mochte den Geruch irgendwie, auch wenn es nicht Jettes Duft war. Nachdem ich die Hand ausführlich beschnüffelt hatte, legte sie diese zurück in ihren Schoß.
»Ich weiß nicht, was dir widerfahren ist und wie dein Name lautet, aber wenn du es zulässt, werden Charly und ich dir ein wundervolles Zuhause schenken.« So einen ähnlichen Satz hatte ich in meinem Leben schon einmal gehört. Sehnsucht überkam mich. Ich hatte so viele wunderbare Momente mit meiner Jette verbracht. Momente, die ich niemals missen will. Wäre es nicht illoyal von mir, wenn ich mich in einem anderen Zuhause heimisch fühlen würde? Wie mag es Jette wohl ergehen, ob sie mich vermisst und nach mir sucht? Und falls sie nach mir sucht, vielleicht findet sie mich ja bald. Obwohl mich die Frau mit einem fürsorglichen Gesichtsausdruck bedachte und mit aller Wahrscheinlichkeit ein super Frauchen wäre, durfte ich die Hoffnung, Jette wiederzusehen, nicht so schnell aufgeben. Miauend wandte ich mich von Maja ab und versuchte ihren enttäuschten Blick zu ignorieren. Ich schämte mich, weil sie mir offensichtlich das Leben gerettet hatte. Die Verbände an meinem Körper zeigten mir, dass sie dafür anscheinend auch viel Geld bezahlt hatte. Ich war hin und hergerissen. Ich würde mich gerne bei ihr bedanken und ihr eine Chance geben, doch ich wehrte mich dagegen. Wortlos stand sie auf und ließ mich allein. Es brach mir das Herz und ich fühlte mich sarkastischer Weise hundeelend. Frustriert schloss ich die Augen auf der Suche nach einer Lösung für mein Dilemma. Bevor ich einschlief, beschloss ich die Zeit für mich entscheiden zu lassen.
Die Tage vergingen und mein gesundheitlicher Zustand verbesserte sich kontinuierlich. Maja schaute täglich nach mir, mal mit Charly und mal ohne. Sie brachte mir Futter und Wasser und gelegentlich servierte sie mir sogar Milch. Täglich hielt sie mir ihre Hand hin und täglich verließ sie den Raum mit gemischten Gefühlen. Sie schien sich über meine Genesung zu freuen, wobei sie meine Zurückhaltung zugleich traurig zu stimmen schien. Ich bewunderte sie, denn dieser emotionale Zustand dauerte Wochen an, doch sie verlor nie die Geduld mit mir. Mit der Zeit wuchs mir selbst dieser komische Hund ans Herz, der mich immer noch blöd anschielte. Er wirkte wie mein persönlicher Beschützer. An Jette dachte ich weiterhin, doch langsam verließ mich die Hoffnung auf ein gemeinsames Wiedersehen. Wenn auch widerwillig beschloss ich, mich aufrichtig bei Maja zu bedanken. Als sie mir eines Tages erneut die Hand zum Beschnüffeln entgegenstreckte, schmiege ich meinen Kopf daran und schnurrte behaglich vor mich hin. Wie sehr hatten mir doch Schmuseeinheiten gefehlt. Ihre Augen funkelten vor Freude. Sie war wirklich eine wundervolle Frau. Mittlerweile freute ich mich jeden Tag über Majas und Charlys Gesellschaft. Ich empfing beide stets mit einem freundlichen Schnurren.
»Sobald du wieder richtig gesund bist, darfst du dein neues Zuhause erkunden. Es wird dir bestimmt gefallen. Da bin ich mir sicher. Charly und ich haben uns einen Namen für dich überlegt. Du bist ab dem heutigen Tag unsere kleine Minka, falls dir dieser Name gefallen sollte.« Ich gab ein zustimmendes Miauen von mir.
Nun war es soweit. Ich war in einem dritten Haus und in meinem zweiten richtigen Zuhause angelangt. Doch meine Jette würde ich niemals vergessen. Das schwor ich mir und ließ mein neues Leben beginnen, in der Hoffnung, dass es Jette ebenfalls gut ging.