15.04.2017 / Honigkuchenpferd und Ganzkörperstarre - aus "Minkas Leben"
Sie ist verrückt geworden, davon bin ich fest überzeugt. Seitdem sie diesen Sachbearbeiter kennengelernt hat, läuft sie nicht ganz rund. Ständig summt sie irgendwelche Lieder vor sich hin, wobei sie mit einem Grinsen im Stile eines Honigkuchenpferdes durch das Haus läuft. Ich verstehe die Welt nicht mehr und selbst Charly scheint mit unserer neuen Maja überfordert zu sein. Sie kümmert sich natürlich immer noch rührend um uns, aber sie hat eine Wesensveränderung erfahren. Ob sie in Gegenwart ihrer Kunden auch so durchdreht? Es ist völlig unverständlich, schließlich hat sie den feinen Herrn Sachbearbeiter nur einmal gesehen. Es ist ja nicht so, dass die beiden regelmäßig Zeit miteinander verbringen. Sie traf ihn in einem Büro und er gab ihr eine nicht befriedigende Antwort, aber ihrem Verhalten zufolge, könnten wir annehmen, dass die beiden sich in einer Phase des Frischverliebtseins befinden. Welch' Glück, dass die Adventszeit bald vor der Tür steht. Vielleicht lenken sie basteln, backen und dekorieren von ihrer Gefühlslage ab.
»Was meint ihr? Soll ich mal im Internet auf die Suche gehen? Vielleicht finde ich ihn ja in einem sozialen Netzwerk und dann könnte ich ja Kontakt mit ihm aufnehmen und vielleicht will er sich ja auch mit mir treffen? Er wirkte doch nicht abgeneigt, glaube ich oder doch nicht? Ah ich bin mir unsicher. Vielleicht morgen«, spricht sie mehr mit sich selbst, wobei sie nach Charlys und meiner Zustimmung giert. Wir geben ihr natürlich keine Antwort, denn diesen Dialog führt sie seit Tagen. Wenn sie nicht so bezauberndes Wesen hätte, würde ich Charly davon überzeugen, dass wir sie ein paar Tage ignorieren sollten, zumindest so lange bis sie sich wieder gefangen hat. Tänzelnd begibt sie sich in ihr Ankleidezimmer, um sich auf den Weg zur Arbeit zu begeben. Charly und ich trotten ihr hinterher.
»Ich habe die Idee. Ich werde mir heute Abend etwas vom Chinesen mitbringen und mir ein Gläschen Wein gönnen und dann begebe ich mich auf die Suche. Sollte ich ihn nicht finden oder einen Korb erhalten, dann werde ich euch nicht mit mehr mit verrückten Verhalten belästigen. Was meint ihr?« Charly gibt ein zustimmendes Bellen von sich, bevor ich überhaupt reagieren kann. Maja grinst noch blöder als sonst. Es scheint, als ob sie nur auf diese Reaktion gewartet hat. Adrett gekleidet wie eh und je gibt sie Charly und mir eine Portion Streicheleinheiten und einen Kuss bevor sie ihrem Arbeitstag fröhlich entgegenschreitet.
Charly und ich lungern den gesamten Tag herum. Irgendwie ist der November demotivierend. Es gibt nichts zu jagen und das kühle Nass mögen wir beide nicht. Neben ausgiebigen Putz-, Schlaf- und Knuddelphasen sehnen wir unser Futter herbei, welches dank ausgefuchster Technologie während Majas Abwesenheit zu bestimmten Uhrzeiten im Napf landet. Lange nachdem es dunkel geworden ist, kehrt Maja mit ihrem Essen und einer Flasche Wein wieder Zuhause ein. Nachdem sie ihr Businessoutfit gegen den üblichen Schlabberlook getauscht hat, nehmen wir mit ihrem Essen, dem Wein und dem Tablet auf der Couch Platz.
»Ok na dann wollen wir mal«, nuschelt sie mit vollgestopften Mund. Ich bin fasziniert. Sie sucht ihn wirklich. Es vergehen Stunden. Das Essen wird zunehmend uninteressant und steht kalt auf dem Tisch. Charly und mir fallen allmählich die Augen zu. Es ist angenehm still, sogar ihr penetrantes Summen ist verklungen, bis sie hysterisch quiekt.
»Charly, Minka. Ich werde verrückt. Seht her. Ich habe ihn gefunden. Schaut. Ist er nicht zauberhaft?« Erschrocken fahren Charly und ich hoch. Solch einen Katzenbuckel mache ich wahrlich nur selten. Nachdem wir uns von dem Schreck erholt haben, starren wir beide auf das Display. Verstört und in eine Ganzkörperstarre verfallen, starre ich das Bild des Herrn an. Ich werde verrückt. Das kann unmöglich wahr sein. Perplex schaue ich Maja an, die ihr Glück kaum fassen kann.